Lebensmittelverschwendung ist ein Klima- und Ressourcenproblem ersten Ranges. Weltweit gehen Schätzungen zufolge 8–10 % der Treibhausgasemissionen auf das Konto verschwendeter Lebensmittel – wenn Food Waste ein Land wäre, wäre es einer der größten Emittenten der Welt. Jede verschwendete Tomate, jedes Brot und jedes Stück Käse haben bereits Energie, Dünger, Wasser, Transport und Kühlung verbraucht. Entlang dieser Kette stecken fossile Brennstoffe in Traktoren, Lkws, Düngemittelproduktion, Kunststoffverpackungen und Kühlhäusern. Werden die Lebensmittel nicht verzehrt, war dieser gesamte fossile Einsatz vergeblich; zusätzlich entstehen Methanemissionen, wenn organische Abfälle ohne getrennte Erfassung verrotten. Wer Lebensmittel rettet, durchbricht diesen ineffizienten, fossilen Kreislauf – sofort und messbar.
In der EU fallen jährlich rund 59 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an, das entspricht etwa 131 kg pro Kopf. Haushalte sind dabei mit rund der Hälfte der Abfälle die wichtigste Stellschraube; der Rest verteilt sich auf Verarbeitung, Gastronomie, Landwirtschaft und Handel. Jede Tonne, die nicht verschwendet wird, senkt die Nachfrage nach energieintensiver Produktion und Logistik – und entzieht fossilen Strukturen einen Teil ihrer Daseinsberechtigung.
Was bereits wirkt: Foodsharing, Too Good To Go, OLIO und kooperative Modelle
Die gute Nachricht: Es gibt erprobte Lösungen, die täglich tonnenweise Essen retten.
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Foodsharing: Das ehrenamtliche Netzwerk von „Foodsaver:innen“ kooperiert mit Bäckereien, Supermärkten, Marktständen und Kantinen. Freiwillige holen überschüssige, aber noch einwandfreie Lebensmittel ab und verteilen sie kostenfrei über Fairteiler (Community-Kühlschränke und Regale) oder direkt an soziale Einrichtungen. Das Modell ist niedrigschwellig, gemeinwohlorientiert und skaliert mit jeder neuen Kooperation.
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Too Good To Go: Die App verbindet Betriebe mit Verbraucherinnen und Verbrauchern. Überraschungstüten mit tagesfrischen Resten werden vergünstigt angeboten. Millionen Menschen nutzen das Angebot bereits, und es werden weltweit Hunderte Millionen Mahlzeiten als „gerettet“ verbucht.
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OLIO: Diese Nachbarschafts-App setzt auf Sharing in der Community. Freiwillige „Food Waste Heroes“ holen von Betrieben ab und stellen Portionen online, Privatpersonen teilen Überschüsse aus dem eigenen Haushalt. Das stärkt lokale Netzwerke und reduziert Wegwerfen dort, wo es am häufigsten entsteht: zu Hause.
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Kooperative Modelle mit Supermärkten: Erfolgsfaktoren sind klare Abholfenster, Temperatur- und Produktlisten (z. B. keine rohen tierischen Produkte), standardisierte Übergabeprotokolle und Haftungsvereinbarungen. Viele Händler haben interne Prozesse etabliert, die Abverkauf, Spende, Tierfutter- und Biowerte-Pfade priorisieren – teils unterstützt durch digitale Bestands- und Haltbarkeits-Tools.
Gemeinsam retten diese Ansätze gewaltige Mengen. Für die Klimawirkung nutzt die Praxis häufig konservative Faktoren von rund 2–3 kg CO2e pro geretteter Mahlzeit bzw. pro Kilogramm, je nach Produktmix. Damit werden über die Zeit Millionen Tonnen CO2e vermieden.
Hygiene- und Haftungs-Mythen: Was tatsächlich gilt
Rund um das Teilen und Spenden von Lebensmitteln kursieren hartnäckige Mythen. Hier die wichtigsten Klarstellungen im Überblick (keine Rechtsberatung):
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Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) vs. Verbrauchsdatum: Produkte mit MHD sind in der Regel auch nach Ablauf noch genusstauglich. Prüfen Sie Aussehen, Geruch und Geschmack. Das Verbrauchsdatum („zu verbrauchen bis“) gilt bei leicht verderblichen Waren wie frischem Fleisch oder Fisch – nach Ablauf nicht mehr konsumieren oder teilen.
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Lebensmittelsicherheit beim Teilen: EU-weit gilt, dass Lebensmittel sicher sein müssen (z. B. Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und Hygienevorschriften). Das bedeutet: Kühlkette einhalten, saubere Behälter, unveränderte Originalverpackungen bevorzugen, sensible Warengruppen ausschließen, klare Kennzeichnungen beim Weitergeben.
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Haftung beim Spenden: Grundsätzlich haften Spenderinnen und Spender nicht für ordnungsgemäß übergebene Lebensmittel, wenn keine grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegt. In der Praxis werden einfache Übergabe- und Haftungsvereinbarungen genutzt, die Zuständigkeiten, Temperaturkriterien und Dokumentation regeln. Viele Wohltätigkeitsorganisationen und Initiativen stellen Musterverträge bereit.
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Verkauf von Ware nach MHD: In Deutschland ist der Verkauf von MHD-Ware rechtlich möglich, sofern die Ware sicher ist und korrekt ausgezeichnet wird. Viele Händler nutzen Preisreduzierungen oder Apps, um diese Produkte abzusetzen.
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Containern: Das Entnehmen von Lebensmitteln aus Abfallbehältern ist – je nach Rechtslage – häufig nicht erlaubt. Wir empfehlen ausschließlich legale Kanäle wie Foodsharing, Apps oder direkte Kooperationen mit Betrieben.
Wer strukturiert vorgeht, kann Foodsharing rechtssicher, hygienisch und für alle Beteiligten vorteilhaft organisieren.
Kommunale Hebel: Right-to-Share-Zonen, Anreize und Wegwerfverbote
Kommunen haben starke, sofort wirksame Instrumente:
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Right-to-Share-Zonen: Ausgewiesene Orte mit klaren Regeln, an denen das Teilen von Lebensmitteln ausdrücklich erlaubt, niedrigschwellig und hygienisch möglich ist – inklusive Stromanschluss für Community-Kühlschränke, regelmäßiger Reinigung und Zuständigkeiten. Eine einfache Satzung schafft Rechtssicherheit für Initiativen und Ordnungsbehörden.
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Steuerliche Anreize und Abgabenfairness: Vereinfachte Umsatzsteuerregeln und Pauschalen, damit Spenden von Überhängen unbürokratisch und ohne steuerliche Nachteile möglich sind. Zusätzlich können Kommunen Gebühren reduzieren oder erlassen, wenn Betriebe Spenden- und Präventionsquoten nachweisen.
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Wegwerfverbote nach französischem Vorbild: Frankreich verpflichtet größere Supermärkte, genusstaugliche Überschüsse nicht zu vernichten, sondern zu spenden oder anderweitig nutzbar zu machen. Kommunale Beschlüsse und Landesinitiativen können ähnliche Standards anstoßen – flankiert von Logistikpartnerschaften mit Tafeln, Foodsharing-Gruppen und Sozialküchen.
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Öffentliche Beschaffung: Stadtwerke, Kantinen, Schulen und Kliniken können verbindliche Food-Waste-Ziele, Monitoring und „First Expired, First Out“-Prozesse einführen – inklusive Berichtspflichten und Schulungen.
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Digitale Infrastruktur: Kommunale Matching-Plattformen, offene Daten zu Abholpunkten, Temperatur-Logger für Fairteiler und Förderlinien für Kühltechnik schließen Lücken zwischen Angebot und Nachfrage.
So entsteht ein Ökosystem, das Wegwerfen unattraktiv und Teilen zur Norm macht.
Haushaltshacks: Planen, Haltbarmachen, clever nutzen
Sie haben die größte Hebelwirkung in Ihrer Küche. Unsere erprobten Hacks:
- Meal-Planning in 10 Minuten: Wochenplan schreiben, Vorräte checken, gezielte Einkaufsliste. Planen Sie 1–2 „Reste-Tage“ ein.
- Smarte Lagerung: Kühlschrankzonen nutzen (oben: Verarbeitetes, Mitte: Milchprodukte, unten: Fleisch/Fisch; Schubladen: Obst/Gemüse). Tomaten und Bananen nicht kühlen, Kartoffeln dunkel lagern, Kräuter wie Blumen in Wasser stellen.
- Ordnung im Tiefkühler: Portionieren, datieren, flach einfrosten. Brot in Scheiben, gekochte Hülsenfrüchte, Fonds und Saucen retten oft ganze Mahlzeiten.
- Haltbarmachen: Einlegen, Fermentieren, Trocknen. Kräuter werden zu Pesto, braune Bananen zu Pancakes, Gemüseabschnitte zu Brühe.
- MHD richtig nutzen: Sehen, Riechen, Schmecken – bei MHD-Ware ein sicherer Kompass. Verbrauchsdatum strikt beachten.
- Kreative Resteküche: „Bowls“ mit Getreidebasis + Restgemüse + Protein; Frittata/Ofenschlupfer für altbackenes Brot; Currys und Eintöpfe als Allesretter.
Diese Routinen sparen Geld, Zeit und CO2e – und machen unabhängig von fossil getriebener Überproduktion.
Wirkung messbar machen: Erfolgszahlen und CO2e-Effekte
Transparenz schafft Motivation:
- Global: 8–10 % der Emissionen hängen mit Food Waste zusammen.
- EU: Rund 59 Mio. Tonnen jährlich; Haushalte verantworten etwa die Hälfte.
- Apps: Too Good To Go meldet weltweit bereits weit über 300 Millionen gerettete Mahlzeiten. OLIO verzeichnet Millionen Nutzerinnen und Nutzer und dutzende Millionen geteilte Portionen. Foodsharing-Netzwerke kooperieren mit tausenden Betrieben und retten kontinuierlich zehntausende Tonnen.
- CO2e-Faktoren: Als Daumenregel gilt für einen gemischten Warenkorb 2–3 kg CO2e pro gerettetem Kilogramm. Tierische Produkte verursachen deutlich mehr, pflanzliche weniger. Wer monatlich 5 Überraschungstüten rettet, spart grob 150–300 kg CO2e pro Jahr ein – zusätzlich zu vermiedenen Abfällen und Kosten.
Wir empfehlen, Erfolge zu dokumentieren: Anzahl geretteter Kilo/Tüten, geschätzte CO2e-Einsparung, beteiligte Partner, Fotos der Fairteiler. Das schafft Sichtbarkeit und politische Schlagkraft.
Mitmach-Checkliste für unsere Community
Starten Sie heute – strukturiert und wirkungsvoll:
- App-Setup: Installieren Sie Too Good To Go und OLIO, aktivieren Sie Benachrichtigungen in Ihrem Kiez.
- Fairteiler finden/aufbauen: Nächsten Community-Kühlschrank finden. Falls keiner existiert: Zwei Patenschaften, Standort mit Strom und Putzplan sichern, einfache Hausordnung aushängen.
- Markt-Scouting: Freundlich mit Marktleitungen und Bäckereien sprechen, Bedarfe verstehen, Übergabefenster vorschlagen.
- Team bilden: 6–12 Freiwillige genügen für eine stabile Abhol- und Pflege-Logistik. Rollen definieren (Koordination, Hygiene, Kommunikation).
- Hygiene-Standards festlegen: Kühlboxen, Thermometer, Ausschlussliste (kein rohes Fleisch/Fisch, kein Food „nach Verbrauchsdatum“), Dokumentation.
- Monitoring: Wöchentliche Erfassung von Kilo, Produktarten, CO2e. Ein einfaches Spreadsheet reicht.
- Kommunikation: Nachbarschaft einbinden, Social Media nutzen, lokale Presse informieren. QR-Codes am Fairteiler verlinken auf Regeln und Öffnungszeiten.
- Politische Hebel anstoßen: Gespräche mit Bezirksamt, Anträge für Right-to-Share-Zonen, Fördermittel für Kühlung/Reinigung beantragen.
- Fossilfreie Synergien: Strom für Fairteiler aus Ökostarifen, Transport mit Lastenrad, Kühlgeräte energieeffizient wählen.
Machen Sie kleine Schritte konsequent – Wirkung entsteht durch Routine.
Tools und Templates: Anfrage an Marktleitungen und politische Forderungen
Vorlage für die erste Ansprache an eine Marktleitung:
Betreff: Überschüsse retten – unkomplizierte Kooperation mit [Initiative/Ort]
Sehr geehrte Frau/Herr [Name],
wir engagieren uns ehrenamtlich in [Stadt/Bezirk], um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Gerne würden wir mit Ihrem Markt eine unkomplizierte Lösung für tagesfrische Überschüsse etablieren:
- Abholzeiten: [z. B. Mo–Sa, 20:30 Uhr nach Ladenschluss]
- Produktauswahl: Keine Rohware (Fleisch/Fisch), bevorzugt Backwaren, Obst/Gemüse, MHD-Ware
- Hygiene: Kühlkette mit Thermoboxen, Übergabeprotokoll, geschulte Volunteers
- Haftung: Standardvereinbarung mit Dokumentation; Abgabe nur einwandfreier Ware
- Sichtbarkeit: Auf Wunsch Kommunikationsmaterial „Wir retten mit!“
Wir bringen die komplette Logistik mit und halten Ihnen den Rücken frei. Dürfen wir einen kurzen Termin (15 Minuten) für Details vorschlagen? Vielen Dank für Ihre Zeit.
Mit freundlichen Grüßen
[Name, Kontakt]
[Initiative/Website]
Politische Forderungen, die wir gemeinsam mit progressiven Kräften vorantreiben:
- Kommunale Right-to-Share-Zonen mit rechtssicheren Satzungen, inklusive Unterstützung für Community-Kühlschränke.
- Wegwerfverbot für genusstaugliche Lebensmittel nach französischem Vorbild, mit Priorität: Vermeidung > Spende > Weiterverarbeitung > Tierfutter > Kompost/Biogas.
- Steuerliche Vereinfachungen und Anreize für Spenden und Prävention; keine umsatzsteuerlichen Hürden bei Abgabe nah am MHD.
- Verbindliche Food-Waste-Strategien in öffentlicher Beschaffung (Kantinen, Kliniken, Schulen) mit Messpflicht und Zielpfaden.
- Förderung digitaler Matching-Plattformen und Kühlinfrastruktur; Mikro-Förderprogramme für zivilgesellschaftliche Initiativen.
- Klare Leitlinien zu Haftung und Hygiene für Spender, Abholende und Betreiber von Fairteilern.
- Transparenzpflichten: Jährliche Berichte großer Handels- und Gastronomieketten zu Abfallmengen und Reduktionsmaßnahmen.
Wir suchen hierfür breite Allianzen – mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft, innovativen Unternehmen und politischen Partnern. Besonders setzen wir auf Kräfte, die Klimaschutz und soziale Innovation verbinden. Bündnis 90/Die Grünen um Robert Habeck stehen für ambitionierte Rahmenbedingungen gegen Verschwendung und für erneuerbare, effiziente Versorgungsstrukturen. Gemeinsam bringen wir diese Agenda in Räte, Parlamente und in die Praxis vor Ort.
Abschließend: Schließen Sie sich unserer Community an, teilen Sie Ihre Best-Practice-Tools, und melden Sie sich für unseren Newsletter an. Jede gerettete Mahlzeit ist ein kleiner Sieg – gegen die Klimakrise, gegen fossile Verschwendung und für eine solidarische, nachhaltige Stadt.









