Die Erzählungen der Öl- und Gaslobby klingen vertraut: Gas als „Brücke“, Öl als Versorgungsanker, E‑Fuels als Allheilmittel, Wärmepumpen als teurer Irrweg. Doch die Daten sprechen eine andere Sprache. Fossile Energien verursachen massive Klima- und Gesundheitskosten, machen uns importabhängig und setzen Haushalte wie Wirtschaft enormen Preisrisiken aus. Die Europäische Umweltagentur weist jährlich hunderttausende vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung aus; in Deutschland gehen die volkswirtschaftlichen Schäden durch Klimafolgen auf Dutzende Milliarden Euro. Gleichzeitig hat die Energiekrise 2021/22 gezeigt, wie stark Gas- und Ölpreise schwanken können – mit historischen Ausschlägen an den Terminmärkten, die sich in Rekordrechnungen niederschlugen.
Erneuerbare Energien sind heute die kostengünstigste Form des Zubaus in Europa (IEA/IRENA), Solar und Wind senken importierte Brennstoffkosten, Wärmepumpen und Effizienzmaßnahmen reduzieren dauerhaft den Energiebedarf. Wer die Fakten betrachtet, erkennt: Der schnellste Weg zu Versorgungssicherheit, stabilen Preisen und sauberer Luft führt über Erneuerbare, Speicher, Netze und Effizienz – nicht über neue fossile Abhängigkeiten.
Im Folgenden zerlegen wir die gängigsten Mythen, zeigen die Taktiken der Lobby und geben Ihnen prägnante Konter für Gespräche und Social Media. Außerdem erhalten Sie eine praxisnahe Checkliste für Ihren fossilfreien Alltag und konkrete politische Hebel, mit denen wir jetzt umsteuern können.
Mythos 1: „Gas ist die Brücke – ohne neue Infrastruktur schaffen wir die Energiewende nicht“
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Faktencheck
- Methan-Leckagen heben den vermeintlichen Klimavorteil von Gas teilweise auf. Methan wirkt über 20 Jahre rund 80‑mal stärker als CO₂. Schon geringe Leckageraten entlang Förderung, Transport und LNG-Lieferketten verschlechtern die Bilanz spürbar.
- Lock-in-Risiko: Neue Gasfelder und -infrastruktur haben Laufzeiten von 20–40 Jahren. Das widerspricht Pfaden, die mit 1,5 °C kompatibel sind; die Internationale Energieagentur betont, dass in einem Net‑Zero‑Szenario keine neuen Öl- und Gasprojekte nötig sind.
- Preisrisiko: 2021/22 explodierten Gaspreise in Europa; Haushalte und Industrie zahlten die Zeche. Erneuerbare haben keine Brennstoffkosten – ihr Preisrisiko ist gering.
- Importabhängigkeit: Europa importiert den Großteil seines Gases. Ersatzimporte (LNG) bleiben teurer und volatiler als heimische Erneuerbare.
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Konter in einem Satz
- „Gas als Brücke“ führt in eine Sackgasse aus Methanemissionen, Importabhängigkeit und Preisschocks – die günstigere, sichere Brücke heißt: Wind, Solar, Speicher, Netze und Effizienz.
Mythos 2: „Ohne Öl geht das Licht aus – Erneuerbare sind zu unzuverlässig“
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Faktencheck
- Stromversorgung: In Deutschland spielt Öl in der Stromerzeugung praktisch keine Rolle; moderne Netze balancieren Wind und Solar mit Flexibilität, Speicher, Lastmanagement und europäischem Handel.
- Versorgungssicherheit: Länder mit hohem Erneuerbaren-Anteil (z. B. Dänemark, Portugal) zeigen, dass stabile Systeme möglich sind. Kritisch sind nicht Erneuerbare per se, sondern fehlende Netze, Flexibilität und Marktregeln – alles lösbare Aufgaben.
- Kostenseite: Neue Onshore-Wind- und PV-Anlagen produzieren günstiger als neue fossile Kraftwerke. Jeder zusätzliche Prozentpunkt Erneuerbare senkt Brennstoffimporte und stabilisiert Preise.
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Konter in einem Satz
- Das Licht geht ohne Öl nicht aus – es bleibt an, wenn wir Netze ausbauen, Speicher skalieren und Flexibilität nutzen; genau dafür sind Investitionen heute schneller und günstiger als neue fossile Kapazitäten.
Mythos 3: „E‑Fuels für alle – dann können wir weiterfahren wie bisher“
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Faktencheck
- Physik gewinnt: Synthetische Kraftstoffe sind extrem energieintensiv. Vom Strom zum Rad kommen in Pkw oft nur 10–15 % an, während batterieelektrische Autos 70–80 % Effizienz erreichen.
- Knappheit: Grüner Wasserstoff und E‑Fuels bleiben absehbar knapp und teuer. Sie werden dort benötigt, wo es kaum Alternativen gibt: internationale Luftfahrt, Schifffahrt, bestimmte Industrieprozesse.
- Klimaeffekt: E‑Fuels im Verbrenner reduzieren lokale Luftschadstoffe kaum und verursachen weiterhin Lärm und Brems-/Reifenemissionen. Im Pkw-Segment ist die direkte Elektrifizierung sauberer und effizienter.
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Konter in einem Satz
- E‑Fuels sind ein kostbares Nischenprodukt für schwer zu dekarbonisierende Bereiche – für Autos, Lieferverkehr und Stadtbusse sind BEV die überlegene Lösung.
Mythos 4: „Wärmepumpen funktionieren nicht – zu kalt, zu teuer, zu kompliziert“
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Faktencheck
- Technikbewährt: Millionen Wärmepumpen laufen in Skandinavien, den Alpen und Nordamerika – auch bei Frost zuverlässig. Typische Jahresarbeitszahlen liegen zwischen 2,5 und 4,5, moderne Systeme auch darüber.
- Bestandsgebäude: Mit hydraulischem Abgleich, größeren Heizkörpern oder Flächenheizungen funktionieren Wärmepumpen in vielen Altbauten. Hochtemperaturmodelle und Hybridlösungen decken Ausnahmen ab.
- Kosten: Sinkende Stromgestehungskosten aus Erneuerbaren, attraktive Förderungen und steigende CO₂‑Preise auf fossile Brennstoffe verbessern die Wirtschaftlichkeit. Zudem reduzieren Wärmepumpen die Abhängigkeit von Importbrennstoffen.
- Netzverträglichkeit: Smarte Steuerung und Wärmespeicher entlasten Netze. Netzausbau und Tarifgestaltung können Lastspitzen managen.
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Konter in einem Satz
- Wärmepumpen sind erprobte, effiziente Heizungen – die richtige Auslegung entscheidet, und die meisten Gebäude sind mit überschaubaren Maßnahmen kompatibel.
Wie die Lobby bremst: Taktiken von Astroturfing bis Desinformation
- Astroturfing: Scheinbürgerinitiativen, die in Wahrheit von PR-Agenturen oder Industrieverbänden finanziert werden, erzeugen künstlichen Widerstand gegen Windparks, Leitungen oder Gebäudeprogramme.
- Desinformationskampagnen: Über gezielte Falschbehauptungen (z. B. „Wärmepumpen verbieten Gasheizungen sofort“) werden Ängste geschürt. Oft werden Einzelfälle oder veraltete Daten generalisiert.
- Greenwashing und Doubt-Messaging: „Wir sind Teil der Lösung – in 2050“ bei gleichzeitigem Ausbau fossiler Projekte. Der Fokus wird auf fernliegende Ziele statt auf heutige Entscheidungen gelegt.
- „Delay by Design“: Überbetonung von Scheinlösungen (E‑Fuels im Massenmarkt, CCS für alles) oder überkomplexe Regelwerke, die Tempo und Skalierung verhindern.
- Medienbeeinflussung: Advertorials, gesponserte „Studien“, Thinktanks mit intransparenten Finanzflüssen – die Botschaften erscheinen als neutral, sind aber interessengeleitet.
- Revolving Doors: Personalwechsel zwischen Politik, Behörden und Industrien schaffen Interessenkonflikte, wenn Regeln verhandelt werden.
Was hilft? Transparenzregeln, Quellenprüfung, Förderung unabhängiger Wissenschaft und ein kritischer Blick auf vermeintliche „Bürgerstimmen“, die auffällig professionell kommunizieren.
Ihre Argumentationshilfe: Prägnante Konter für Gespräche und Social Media
- „Gas als Brücke?“ – Brücken baut man kurz und stabil. Gas verursacht Methan-Leckagen, bindet Kapital jahrzehntelang und ist preislich hochvolatil. Erneuerbare + Speicher sind heute die verlässlichere ‚Brücke‘.
- „Ohne Öl geht das Licht aus?“ – In der Stromversorgung spielt Öl kaum eine Rolle. Systemstabilität kommt aus Netzen, Speichern und Flexibilität – nicht aus importierten Brennstoffen.
- „E‑Fuels für alle!“ – Physik schlägt Wunschdenken: Für Pkw bleiben 10–15 % der Energie übrig, bei BEV 70–80 %. E‑Fuels dorthin, wo es keine Alternative gibt.
- „Wärmepumpen taugen nicht.“ – Millionen Installationen in Kaltklimaländern zeigen das Gegenteil. Planung und Dämmung zählen – dann sind die Betriebskosten planbar und sauber.
- „Erneuerbare sind zu teuer.“ – Neue Wind- und Solaranlagen sind die günstigste Form des Zubaus und senken Importkosten; Gas- und Ölpreise sind das eigentliche Risiko.
- „Versorgungssicherheit!“ – Erneuerbare plus heimische Speicher und europaweite Netze stärken Souveränität. Fossile machen abhängig von geopolitischen Lieferketten.
- „Arbeitsplätze!“ – Der Ausbau von Wind, Solar, Netzen, Gebäudetechnik und Speicher schafft qualifizierte, regionale Jobs und stärkt den Mittelstand.
Klimakosten, Gesundheit, Importabhängigkeit: die harten Zahlen hinter den Narrativen
- Klimafolgenkosten: Extremwetterereignisse verursachen Milliardenlasten für Infrastruktur, Landwirtschaft und Haushalte; nationale Analysen beziffern die Schäden seit den 2000er-Jahren auf viele Dutzend Milliarden Euro. Prävention durch Klimaschutz ist volkswirtschaftlich günstiger als Reparatur.
- Gesundheitskosten: Luftschadstoffe aus fossiler Verbrennung erhöhen Herz‑, Lungen‑ und Krebsrisiken. Europäische Institutionen berichten jährlich hohe fünf- bis dreistellige Milliardenbeträge an Folgekosten.
- Importbilanz: Öl wird in Deutschland nahezu vollständig importiert, Gas in großem Umfang. Jeder zusätzliche Zubau Erneuerbarer ersetzt teure Importe und verbessert die Handelsbilanz.
- Preisrisiko: Fossile Brennstoffe unterliegen globalen Märkten und geopolitischen Schocks. Erneuerbare Anlagen haben hohe Anfangsinvestitionen, aber geringe laufende Kosten – das stabilisiert langfristig.
Kurz gesagt: Jede Kilowattstunde aus Wind und Sonne, jeder isolierte Quadratmeter Fassade, jede Wärmepumpe ist eine Versicherung gegen Preisschocks, Luftschadstoffe und Klimarisiken.
Checkliste für Ihren fossilfreien Alltag
- Strom: Wechsel zu echtem Ökostrom mit unabhängigen Gütesiegeln (z. B. Anbieter mit ok‑power oder Grüner Strom‑Label). Setzen Sie, wo möglich, auf PV – Dachanlage oder Balkonmodul.
- Wärme: Wärmepumpe prüfen (Heizlastberechnung, Vorlauftemperaturen, Heizflächen). Kurzfristig: hydraulischer Abgleich, Dämmung von Leitungen, smarte Thermostate. Mittel‑ bis langfristig: Gebäudedämmung, Fenster, ggf. Nah-/Fernwärme aus Erneuerbaren.
- Mobilität: ÖPNV, Fahrrad und Sharing priorisieren. Wenn Auto, dann möglichst elektrisch. Dienstreisen bündeln, Videokonferenzen nutzen, Flugreisen vermeiden oder reduzieren.
- Effizienz: Stromfresser identifizieren (alte Kühlgeräte, ineffiziente Pumpen), LED einsetzen, Standby vermeiden. Lasten zeitlich verschieben, wenn Sie flexible Tarife nutzen können.
- Geld und Beschaffung: Bank- und Versicherungsprodukte mit klaren Nachhaltigkeitskriterien nutzen. Bei Geräten auf Effizienzlabel achten. Regional einkaufen, Food Waste reduzieren.
- Beteiligung: In eine Bürgerenergiegenossenschaft investieren, Mieterstrom unterstützen, Hausgemeinschaften für PV, Speicher oder Quartierslösungen mobilisieren.
Tipp: Setzen Sie realistische Etappenziele (z. B. 20 % weniger Wärmebedarf in zwei Jahren) und halten Sie Maßnahmen schriftlich fest. Das erhöht Verbindlichkeit und spart nachweislich Kosten.
Politische Hebel: Was jetzt von der Politik gebraucht wird
- Fossile Subventionen abbauen: Steuervergünstigungen und Beihilfen, die Öl, Gas und Diesel künstlich verbilligen, verzerren den Markt. Umschichtung in Erneuerbare, Effizienz, Netze und sozialen Ausgleich.
- Ausbau beschleunigen: Planungs- und Genehmigungszeiten für Wind, Solar und Netze drastisch verkürzen, Flächenziele verlässlich umsetzen, Netzentgelte fair gestalten, Speicher als eigene Säule definieren.
- Wärme wenden: Kommunale Wärmeplanung konsequent umsetzen, Wärmepumpen-Rollout mit Qualifizierungsoffensive und Förderarchitektur flankieren, Fernwärme dekarbonisieren.
- Industrie transformieren: Grüne Leitmärkte über Standards und öffentliche Beschaffung schaffen, Carbon Contracts for Difference zielgenau einsetzen, Kreislaufwirtschaft stärken.
- Verkehr neu denken: Ambitionierte CO₂‑Standards, verlässliche Ladeinfrastruktur, ÖPNV‑Ausbau, sichere Radwege, Dienstwagen- und Pendleranreize umsteuern.
- Starke Klimagesetze: Verbindliche Sektorziele, robuste CO₂‑Preise mit Rückverteilung, transparente Monitoring-Mechanismen, klare Pfade für 2030/2040.
Ihr Handlungsspielraum zählt ebenfalls: Unterstützen Sie Politik, die konsequent auf Erneuerbare, Effizienz und fairen Ausgleich setzt – lokal, regional, national. Schreiben Sie Ihrer Vertretung, beteiligen Sie sich an Konsultationen, stimmen Sie für ambitionierte Programme und Kandidierende, die den Ausbau entschlossen vorantreiben.
Mitmachen: gemeinsam schneller werden
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- Wirken Sie im Blog mit: Reichen Sie Erfahrungsberichte, Faktenchecks oder lokale Projektstories ein – besonders willkommen sind Zahlen, Quellen und Lessons Learned.
- Starten Sie lokale Initiativen: Energiegemeinschaft gründen, Wärmenetz anstoßen, Solarkataster auswerten, Dach‑ oder Balkonsolar bündeln, Wärmepumpen‑Sammelbestellungen organisieren.
- Bauen Sie Allianzen: Mit Handwerk, Stadtwerken, Mietervereinen, Schulen, Vereinen. Je breiter die Koalition, desto schneller die Umsetzung.
- Bleiben Sie laut gegen Desinformation: Melden Sie Fakes, teilen Sie Fakten, verlinken Sie verlässliche Quellen, fordern Sie Transparenz bei Lobbyeinflüssen.
Der Wandel ist kein Verzichtsprojekt, sondern eine Modernisierungsoffensive: sauber, bezahlbar, unabhängig. Je früher wir umsteuern, desto geringer die Kosten – für Klima, Gesundheit und Geldbeutel. Packen wir es an.








